Magdeburg: Täter nutzte Rettungsweg für Amokfahrt

Die Magdeburger Staatsanwaltschaft stuft den Vorfall als Anschlag ein. Wenn man in einen Weihnachtsmarkt hineinfahre, dann sei das ein Anschlag, und wenn man das mit einem Fahrzeug mache, dann sei das auch zugleich eine Amokfahrt, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens am Samstag auf einer Pressekonferenz in Magdeburg. „Ob es ein Terroranschlag war, wissen wir noch nicht“, betonte er zugleich. Das Verfahren sei bisher nicht von dem Generalbundesanwalt übernommen worden.

Der mutmaßliche Täter Taleb A. habe sich zum Motiv geäußert. Was davon stimme, müsse aber noch aufgeklärt werden. Nach gegenwärtigem Stand sehe es so aus, dass der Hintergrund der Tat „Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen in Deutschland gewesen sein könnte. Aber was da jetzt tiefer dahintersitzt, ist Gegenstand der Ermittlungen.“

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„Ob es ein Terroranschlag war, wissen wir noch nicht“, sagte Oberstaatsanwalt Nopens

Der 50-jährige Amokfahrer bezeichnete sich nach Informationen der dpa selbst als „Ex-Muslim“. In sozialen Netzwerken und Interviews erhob der aus Saudi-Arabien stammende Mann jüngst teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden.

Den Ermittlern zufolge ist unter den Toten ein neun Jahre altes Kind, die weiteren vier Toten seien Erwachsene. Der Fahrer stand einem Bericht der „Bild“-Zeitung zufolge womöglich unter Drogen. Ein erster Drogenwischtest sei positiv ausgefallen, berichtete das Blatt ohne Angaben von Quellen.

Polizei geht von Einzeltäter aus

Bei der tödlichen Attacke handelt es sich nach Polizeiangaben um einen Einzeltäter. Nach derzeitigem Ermittlungsstand könne ein zweiter Täter ausgeschlossen werden. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg ermittelt gegen den mutmaßlichen Täter bisher wegen fünffachen Mordes. Der Tatvorwurf darüber hinaus laute versuchter Mord in 200 Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.

Nach „Spiegel“-Informationen wurde er in der saudi-arabischen Stadt Hofuf geboren und kam im März 2006 zur Ausbildung nach Deutschland. Im Juli 2016 wurde er als Flüchtling anerkannt, wie der „Spiegel“ unter Hinweis auf ein früheres Interview in der „Frankfurter Rundschau“ berichtet.

ORF-Korrespondent Andreas Pfeifer berichtet über die Stimmung in Magdeburg nach dem Attentat auf einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg.

Wirre Vorwürfe gegen deutsche Behörden

Mittlerweile dürfte er laut den Recherchen des Magazins jedoch abgedriftet sein. Auf seinem Account beim Onlinedienst X habe er von einem gemeinsamen Projekt mit der in weiten Teilen rechtsextremen AfD geträumt – einer Akademie für Ex-Muslime.

In sozialen Netzwerken und Interviews erhob der Tatverdächtige zuletzt zudem teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er hielt ihnen vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen. Nachdem er vor Jahren mit seiner Unterstützung für saudi-arabische Frauen, die aus ihrem Heimatland fliehen, an die Öffentlichkeit gegangen war, schrieb er später auf seiner Website in englischer und arabischer Sprache: „Mein Rat: Bittet nicht um Asyl in Deutschland.“

Die Todesfahrt war nach Einschätzung der Stadtverwaltung nicht vorhersehbar. Man habe es mit einem Fall zu tun, mit dem kein Veranstalter habe rechnen könne, sagte der Magdeburger Ordnungsdezernent Ronni Krug. Das Sicherheitskonzept für den Markt sei immer wieder angepasst und zuletzt im November dieses Jahres verschärft worden.

Scholz kündigt Konsequenzen an

„Wir haben fünf Menschenleben zu beklagen und über 200 Verletzte, davon viele schwerst und schwer verletzt“, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Samstag nach dem Besuch des Tatorts mit Kanzler Olaf Scholz (SPD). Dieser sagte, fast 40 Menschen seien so schwer verletzt, „dass man große Sorge um sie haben muss“.

Scholz kündigte zudem harte Konsequenzen an. Zunächst müsse man aber genau verstehen, was passiert sei und welche Motive der mutmaßliche Täter gehabt habe. „Dann werden wir mit der notwendigen Konsequenz darauf reagieren“, so der deutsche Kanzler. Es sei wichtig, dass das Land nun zusammenbleibe und nicht Hass das Miteinander der Menschen in Deutschland bestimme. Man werde diejenigen, die Hass säen, nicht durchkommen lassen, sondern mit aller Härte des Gesetzes gegen sie vorgehen, sagte Scholz.

APA/AFP/Ronny Hartmann

Mehrere hundert Menschen versammelten sich zu einem Gedenkgottesdienst im Magdeburger Dom

Am Abend gedachten Betroffene und Angehörige, Einsatzkräfte, Bürger und Bürgerinnen sowie Politiker im Magdeburger Dom der Opfer. An der Gedenkstunde nahmen unter anderem Haseloff, Scholz, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) teil. Vor dem Dom legten Menschen Blumen nieder und entzündeten zahllose Kerzen.

Saudi-Arabien warnte vor Tatverdächtigem

Saudi-Arabien warnte Deutschland Sicherheitskreisen zufolge vor dem mutmaßlichen Täter. Das Königreich habe seine Auslieferung beantragt, darauf habe Deutschland nicht reagiert, hieß es. Der Mann sei Schiit gewesen.

Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung in dem mehrheitlich sunnitischen Land sind schiitisch. Es gibt immer wieder Berichte über Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land. Nach Informationen der dpa in Berlin hatte es vor rund einem Jahr eine Art Warnhinweis zu dem Mann an die deutschen Behörden gegeben.

Internationales Entsetzen und Mitgefühl

NATO-Generalsekretär Mark Rutte drückte – wie er berichtete – dem deutschen Kanzler sein Mitgefühl aus. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte die Attacke. Die Vereinten Nationen zeigten sich ebenso bestürzt und sprachen den Familien der Opfer, der Regierung und den Menschen in Deutschland Beileid aus.

Mehrere ausländische Regierungen verurteilten die tödliche Attacke. Österreichs Politik zeigte sich schockiert. „Die Nachrichten aus Magdeburg sind erschütternd und machen uns fassungslos. Unsere Gedanken sind in diesen schwersten Stunden bei den Opfern, ihren Familien und den Rettungskräften“, schrieb Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf X.

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